Böhse
Onkelz unter Druck (Metal Hammer, August 1998)
Bericht von Matthias Mineur

Die Böhsen Onkelz stehen Mitte Juni mächtig unter
Zeitdruck, denn für den Spätsommer ist die Veröffentlichung ihres neuen, zur
Zeit noch unbetitelten Studioalbums anvisiert.
"Alle in der Band haben bereits mit den Hufen geschart,
dass es endlich wieder los geht", erzählt Gitarrist Matthias "Gonzo" Röhr schon
bei der Begrüssung und beantwortet damit die Frage, wie denn die Stimmung
innerhalb der Band sei. "Pe hat sich zwar im letzten Jahr ein Haus gekauft, in
dem er viel renoviert hat, aber letztendlich haben vor allem er und Kevin
sehsüchtig darauf gewartet, dass es wieder los geht." Nach insgesamt 16 Jahren
harter Arbeit sollte 1997 eigentlich ein Jahr der Erholung, der Regeneration
werden. Doch daraus wurde nichts. "Erst kam das LIVE IN DORTMUND-Album sowie das
dazugehörige Video, und dann haben wir das Buch veröffentlicht", so Bassist
Stephan Weidner. "Für mich hatte sich lediglich die Art der Arbeit verlagert,
weg vom Kreativen hin zum mehr Administrativen. " Nichtsdestotrotz hatten die
übrigen Onkelz das Jahr ohne Studioscheibe dringend benötigt. Speziell Sänger
Kevin Russel kämpfte bereits Monate vor der bevorstehenden Auszeit mit
körperlichen Verschleisserscheinungen. " Ich habe dieses Jahr Pause ganz nötig
gebraucht, da ich unter einer schlimmer Halsentzündung litt. Ich war am Ende der
letzten Produktion und auch schon während der Aufnahmen total heiser. Das
scheint jedoch zum Glück nun auskuriert zu sein. Diesmal bin ich sehr gut in
Form, bekomme auch die Kopfstimme wieder hin und werde selbst nach grösseren
Belastungen nicht mehr heiser. Ich habe ein sehr gutes Gefühl, dass die Sache
endgültig ausgestanden ist."
Seit einigen Wochen nun läuft die
Onkelz-Studiomaschinerie wieder unter Hochdruck. Die Termine der
Deutschland-Tournee stehen bereits seit langem fest, alles ist durchgeplant.
Weidner: "Pe, Gonzo, Kevin und ich haben uns im Frühjahr getroffen und in
Absprache mit der Virgin die Termine für 1998 definiert. Dies ist vor allem für
die Plattenfirma wichtig. Und für uns war's ebenso nötig, die Zeit genau zu
planen. "Gitarrist Matthias Röhr hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt:
"Wir wollten auf keinen Fall noch einmal einen erleben, dass - so wie im letzten
Jahr - auf Tour gehen, ohne dass das Album veröffentlicht ist. Die Leite sollen
sich an das neue Material gewöhnen können. Die Stimmung in den Konzerten lebt ja
auch davon, dass die Fans das Material bereits kennen. Sonst stehen sie da wie
die Oelgötzen und wissen mit den neuen Songs gar nichts anzufangen." Ein zweites
wichtiges Ziel der Planung sei auch gewesen, sorgsam mit der körperlichen
Belastung der vier Musiker umzugehen. Zu deutlich haben die vergangenen Jahre
gezeigt, dass man nicht unbegrenzt Psyche und Physis beanspruchen kann. "Ehrlich
gesagt: Wir würden gerne deutlich weniger Shows spielen", gesteht Röhr. "Wir
haben auch diesmal mehr Konzerte gebucht, als wir uns eigentlich vorgenommen
hatten. "Weidner fügt hinzu: "Unsere Tour im Herbst besteht aus fast 30 Shows.
Das ist jeden Abend ein ungeheurer Kraft- und Konzentrationsaufwand. So wie wir
uns auf der Bühne präsentieren, geht es an die Substanz. Das ist vor allem für
Kevin hart an der Grenze. Der Sänger ist ja immer am härtesten betroffen."
Seit einigen Wochen haben sich die Onkelz in ihrem
eigenen Frankfurter Studio verschanzt, um am neuen Album zu arbeiten. Der Beginn
des Singwritings sei - wie immer - eine Art "Sprung ins kalte Wasser" gewesen,
sagt Gitarrist Röhr. Man habe überhaupt keine Ahnung gehabt, wohin einen die
kreative Phase führen würde. "Wir sind diesmal direkt ins Studio gegangen und
haben hier angefangen zu arbeiten. Natürlich sind Stephan und ich aufgrund
unserer Instrumente mehr am Komponieren beteiligt als Kevin und Pe. Aber die
beiden sind ständig dabei, hören sich die Ideen an, geben ihre Kommentare dazu
ab, und jammen mit uns. Letztlich müssen wir alle damit zufrieden sein."
In doppelter Hinsicht gefragt ist natürlich Weidner,
Komponist und Texter der Gruppe. Er besonders hängt dem Zeitplan hinterher.
Nichts Ungewöhnliches, finden er und seine Bandmitglieder. "Natürlich habe ich
diverse Textbrocken bereits fertig, wenn die Arbeit an den Songs losgeht. Ich
schreibe ja das ganze Jahr über Texte. Aber eben noch keine fertigen, die man
für die Songs verwenden kann. Das entwickelt sich erst im Laufe der Produktion,
dann, wenn man Arrangements, fertige Strukturen hat."
Die grosse und logischerweise wichtigste Frage lautet
natürlich: Wie wird das neue Album klingen? Typisch Onkelz? Experimentell?
Weidner: "Man versucht natürlich, sich immer weiter zu entwickeln, ohne dass die
eigene Note verloren geht. Du wirst also immer hören könne, dass dies nur die
Onkelz sein können. Aber wie Motörhead 50mal den gleichen Song zu spielen, würde
uns zu langweilig werden. Also haben wir uns vorher überlegt, was wir machen
könnten, um die Musik interessanter zu gestalten. Wir haben diesmal verstärkt
die Computertechnik genutzt, um noch detaillierter ins Arrangement eingreifen zu
können. Nicht, dass die Computer die Musik machen. Spielen müssen wir nicht
immer selber. Aber die Art, wie man mit den Ideen arbeiten kann, wird durch
diese Technik verbessert. Wir werden also nicht unseren Stil ändern, aber ihn
vielleicht durch bessere Studiotechnik verfeinern. "Auswirkungen auf die
Arrangements habe diese Arbeitsweise nur partiell gehabt. Und auch die Tatsache,
dass die Band nach dem zwischenzeitlichen Exkurs in die Welt von
Vintage-Instrumenten und uralten Röhrenmikrofonen (HIER SIND DIE ONKELZ, 1995)
nun wieder mit neuester Technik agiert, führte zu keinerlei musikalischer
Entgleisung. "Ich glaube, diesen Unterschied zwischen Röhren-und topmodernen
Mikrofonen werden die Leute kaum hören. Es steckt kein gezielter Plan dahinter,
dass wir diesmal so arbeiten, sondern hat sich mehr aus vorhandenen
Gegebenheiten ergeben. Wir waren damals so drauf, wir wollten einfach mal ein
anderes Gefühl bekommen, indem wir über alte Instrumente und alte Mikrofone
spielen. Man bekommt dann dieses urwüchsige Rock "n" Roll-Flair. Du brauchst
einfach jedesmal 'ne neue Motivation beim Arbeiten. Und dann experimentiert man
eben gerne, so wie diesmal mit der Harddisc-Technik, mit der vieles leichter und
schneller geht." Ausserdem sei es möglich, weitaus genauer zu produzieren,
erklärt Röhr die Vorteile der zeitgenössischen Studiotechnik. Dadurch könne man
mehr an Nuancen der einzelnen Stücke arbeiten. Weidner: "Matthias hat sich zum
Beispiel beim letzten Mal geweigert, Overdubs zu machen. Er wollte, dass alles
aus einem Guss kommt. Das er diese Fähigkeiten besitzt, hat er oft genug
beweisen, das brauchte er jetzt nicht noch einmal zu tun. Also versucht er bei
dieser Platte, die technischen Möglichkeiten zu nutzen, um den Songs etwas
Neuartiges hinzuzufügen."
Als Appetizer auf den neuen Longplayer veröffentlichen
die Onkelz nun zuerst die Single "Terpentin" (Bonustrack der ebenfalls brandneue
Song "Weit weg"). Onkelz und Single, passt das? Weidner: "Wir sind ja alles
andere als 'ne Single-Band. Aber die Virgin hat sich eine gewünscht und da wir
ein absolut cooles Verhältnis zur Firma haben, erfüllen wir den Wunsch. Wir
wollen es allerdings nicht wie Rammstein machen, also bereits ein halbes Jahr
vorher zwei Singles rausschieben und damit solange herumbuhlen. Die Single soll
die Lust der Fans steigern, sich das Album zu kaufen. Sie sollen sagen: "Toll,
noch zwanzig Tage, bis auch das Album kommt!"
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