Geschichten aus dunklen Nächten (EMP, Frühjahr 2000)

von Matthias Mineur / Abgetippt von Sebastian Kuboth

Das ewig junge Reizthema "Böhse Onkelz" wird auch in Zukunft nichts von seiner Brisanz verlieren. Denn noch immer nehmen Chefdenker Stephan Weidner und seine drei Bandmitglieder kein Blatt vor den Mund, attackieren VIVA und MTV öffentlich, und schaffen es trotzdem, ihren Fans auf direktem Wege einen Videoclip zu präsentieren. Wie ihnen dies Kunststück gelingt, erklärt Weidner im folgenden Interview ebenso, wie alles Wissenswerte über das neue Album. Das hatte bei Redaktionsschluss zwar noch keinen endgültigen Titel, heißt aber aller Voraussicht nach "Ein böses Märchen aus 1000 finsteren Nächten". Wo die Onkelz diese erlebt haben wollen, und ob sie wegen ihrer Alpträume nach Irland ausgewandert sind, erfahrt Ihr als Antworten der zehn bösen Fragen aus hundert finsteren Gedanken. Voil…!

Stephan, zunächst bitte einige Informationen über Eure Emigration nach Irland. Nicht nur Eure Fans waren mächtig überrascht, ihre Frankfurter Jungz nun auf der Insel besuchen zu müssen.
"Einen Ortswechsel wollten wir schon lange, aus unterschiedlichen Gründen. Allerdings war klar, dass dies innerhalb Europas sein würde, damit ein enger Kommunikationsfluss zu unseren wichtigsten Partnern gewährleistet bleibt. Aus privaten Gründen hätte ich mir persönlich ja auch Zentralamerika vorstellen können, aber 15 Stunden Flug sind halt zu viel, wenn es mal schnell gehen muß. Zu Großbritannien hatten wir durch Kevin, der ja Engländer ist, schon immer eine besondere Beziehung. Und irgendwann ist daraus die Entscheidung geworden, nach Irland zu ziehen."

Ich habe gelesen, dass Du Dich in einem Interview etwas enttäuscht über Deine eigenen Texte auf "Viva los tioz" geäußert hast!
"Also, ganz so dramatisch würde ich das nicht verstanden wissen wollen. Sagen wir's mal so: Auf "Viva los tioz" war ich nicht mit jedem Text 100%ig zufrieden. Es geht aber Künstlern allgemein so, dass sie nie 1000%ig zufrieden sind. Vielleicht war seinerzeit der Zeitdruck zu groß, vielleicht war auch die Verantwortung, die besonders auf mir lastet, zu schwer. Außerdem kamen familiäre Dinge hinzu: Ich bin Vater geworden. Wie dem auch sei: Ich glaube, dass ich auf der letzten Scheibe meine Fähigkeiten nicht bis zum letzten ausgeschöpft habe."

Das bedeutet, diesbezüglich gibt es auf "Ein böses Märchen aus 1000 finsteren Nächten" einen Handlungsbedarf? "Ja, und nein. Jedes Album ist eh anders. Man kann sie nicht miteinander vergleichen. Ich würde sagen, dass auf der neuen Scheibe eine eher nachdenkliche Stimmung herrscht. Vermutlich inspiriert durch Irland, das ja ein sehr armes Land ist. Mit Ausnahme von Dublin herrschen hier Bedingungen wie teilweise in 3.-Welt-Ländern. Man sieht halt das Leben der Leute, die Kinder auf der Straße. Aber es gibt auch eine Danksagung an unsere Fans und einen bitterbösen Text über deutsche Talkshows bzw. das unsägliche Reality-TV."

Keinen über Deine Vaterschaft? "Nein, und ich weiß nicht einmal genau, warum nicht. Vermutlich, weil es mir zu Klischee-beladen geklungen hätte."

Eigentlich hätten in Deine TV-Kritik doch auch VIVA und MTV mit einbezogen werden können, oder? "Also, mit VIVA gibt es für uns überhaupt keine Berührungspunkte, und auch keinerlei Form von Zusammenarbeit. Der Sender liegt für uns brach, die Leute sind für uns geächtet. Mit MTV hat es eine Chance auf Annäherung gegeben, doch die wollten erst irgendwelche redaktionellen Vorarbeiten geleistet wissen, bevor sie uns in ihr Programm nehmen. Wir sagen jedoch: Wer im Jahre 2000 noch immer Annäherungen an die Onkelz braucht, der hat die letzten zehn Jahre verpennt. Von uns aus gibt es dazu keine Einwilligung. Das haben wir mal mit VIVA probiert, und diesbezüglich katastrophale Erfahrungen machen müssen."

Eigentlich schade, denn Ihr habt zu "Dunkler Ort", Eurer ersten Single, ein wirklich sehenswertes und aufwendiges Video produziert.
"Aufwendig" ist der richtige Ausdruck: Der Clip hat 350.000 DM gekostet. Da fragt man sich natürlich im Vorfeld schon, womit man eine solche Investition rechtfertigen kann, wenn anschließend kein Sender ihn zeigt. Doch es gibt ja mittlerweile die Möglichkeit, einen solchen Clip mit auf eine Multimedia-CD zu brennen. Das haben wir bei der Single gemacht, und so bekommen unsere Fans einen noch viel direkteren Zugriff auf den Clip. Jetzt sind sie nicht mehr auf VIVA, MTV oder wen auch immer angewiesen, sondern können ihn über ihren eigenen Rechner abspielen."

Apropos Rechner: Haben sich die Experimente, die Ihr bei "Viva los tioz" mit Computern gemacht habt, letztendlich bewährt?
"Zumindest in produktionstechnischer Hinsicht. Es wird vieles leichter, wenn man die Möglichkeiten eines Computers nutzt. Man darf sich nur nicht zu stark künstlerisch davon beeinflussen lassen."

Also hat der etwas gewöhnungsbedürftige und auch überraschend neue Stil des Albums nichts mit Bits und Bites zu tun? "Nein, sondern vielmehr mit der Notwendigkeit, musikalisch nicht auf der Stelle treten zu wollen. Wir sind halt nicht Motörhead, die auf jedem Album das Gleiche machen. Nichts gegen die Band, aber das ist nicht unser Ding. Mich langweilt es, immer nur einspurig zu arbeiten. Wir suchen nach neuen Herausforderungen. Allerdings sehe ich die Veränderungen gar nicht so drastisch, wie es uns von Außenstehenden widergespiegelt wird. Offenbar haben die Leute etwas anderes erwartet. Ich sehe in den neuen Songs einfach nur guten Rock'n'Roll mit modernen Elementen. Die Unterschiede sind vor allem rhythmisch, wie man schon bei "Dunkler Ort" sehr gut hören konnte. Es gibt aber keine neuen Onkelz, wir haben diesmal lediglich versucht, musikalisch mehr in die Tiefe zu gehen."

Zieht das auch einen noch pompöseren Aufwand bei Eurer Bühnenshow nach sich?
"Man muß das mal so sehen: Wir spielen seit Jahren in einer Liga, in der man nicht an der Live-Präsentation sparen darf. Es kommen dermaßen viele Leute in unsere Konzerte, dass man auch den Fans in den hintersten Reihen einen reellen Gegenwert für ihr Eintrittsgeld bieten muß. Die sehen einen ja nur in Stecknadelgröße. Deshalb muß Licht und Show entsprechend aufwendig sein. Die letzte Tour war diesbezüglich schon wirklich sehenswert, ich glaube jedoch, dass wir diesmal noch eins drauflegen. Allerdings ohne dabei Kiss Konkurrenz machen zu wollen. Auf jeden Fall wird die gesamte Show gefilmt und zeitgleich auf zwei riesige Leinwände übertragen."

Letzte Frage: Eigentlich seid Ihr für Eure Loyalität zu jenen bekannt, die Euch den Rücken gestärkt haben. Warum also das Ende des Virgin-Vertrages?
"Es war immer unser Ziel, so autark wie möglich zu sein. Wir haben darauf hingearbeitet, eine Infrastruktur zu schaffen, die uns unabhängig von anderen sein läßt. Dafür haben wir auch so viel Geld investiert, wie wohl kaum eine andere Band es getan hätte. Das muß sich irgendwann einmal auszahlen. Natürlich haben wir der Virgin sehr viel zu verdanken. Ich glaube, es gab damals nicht allzu viele Majorlabel, die uns genommen hätten. Aber jetzt müssen sich unsere Investitionen rentieren, und das bedeutet für die Virgin nun einmal finanzielle Einbußen. Immerhin arbeiten wir aber ja noch immer mit denen als Vertriebspartner zusammen."