Onkelz 2000 (Metal Hammer, Januar 2000)

Bericht von Matthias Weckmann / Abgetippt von Sebastian Kuboth

"Wo nehmen die BÖHSEN ONKELZ ihre neue CD auf? In Dublin???" Die drei Fragezeichen drängten sich in der Redaktion-das Frankfurter Quartett auf den Spuren von Bob Geldof, Sinead O'Connor und U2? Doch sollte dies nicht die einzige Neuigkeit sein: Für nächstes Jahr kündigt sich Grosses an...

Das Album

Die Wahl der irischen Hauptstadt ist nur mehr als logisch: Schließlich verlagerten die Onkelz Ende '98 ihren festen Wohnsitz dorthin und besetzen nun seit Oktober 'The Factory', das zweitgrösste Studio des Landes, um den Nachfolger des nummer Eins-Albums VIVA LOS TIOZ einzuspielen. Hier haben schon U2 den Charme und die Gegensätzlichkeit ihrer Heimat in Ton und Text erfasst. Die Umgebung könnte die Kulisse eines Schimanski-Tatorts darstellen: Graue Fabriken lassen Schornsteine schmauchen, die Luft riecht modrig, und Glassplitter knarzen unter deinen Sohlen. Das ist keine Gegend des Glamours, des Ruhms. Hier wird man ständig daran erinnert, wie alles anfing(oder enden kann) und dass harte Arbeit keine Schande ist - selbst wenn man zuletzt von Null auf Eins in den Deutschen Charts schoss. "Wenn wir nicht dauernd von Aussenstehenden daran erinnert würden, wäre das überhaupt kein Thema mehr für uns", betont Bassist und Bandkopf Stephan Weidner. "Es war schön, wir haben das abgefeiert, fertig. Es ist an der Zeit, den einen oder anderen neuen Weg zu begehen." Gesagt, getan - die vier vorab gehörten Songs (siehe Kasten) zeigen die Band von einer sehr düsteren Seite. Selbst der Track 'Onkelz2000', inhaltlich wieder mal als Hommage an sich selbst konzipiert, macht musikalisch einen eher nachdenklichen Eindruck. "das Album wird bestimmt nicht heiter", bestätigt Weidner. "Die Onkelz sind schon lange keine Spaß-Kapelle mehr." Hinsichtlich der Arrangments hat man sich wesentlich entwickelt. Zwar wurde der elektronische Faktor reduziert, dafür haben die Tracks in der Gesamtheit an Variationen gewonnen. Bei diesen Punk Rock wird zweiteres gross geschrieben. Während frühere Onkelz-Songs schon mal ohne Umwege in den Mund und Nase fuhren, wird man nun interessante Gewürze herausschmecken-ohne dass der Typische Onkelz-Gestank fehlen würde. Hier hat man zu kauen, hier bleibt was in den Zähnen hängen, das man noch Wochen später genießen kann. Genau das was die Küchenchefs beabsichtigten: "die Songs erschließen sich nicht beim ersten Hören", analysiert Gitarrist Matthias 'Gonzo' Röhr, bevor Weidner ergänzt: "Es hat alles ein bischen mehr Tiefe. Das fängt bei den Akkorden an, geht über die Harmonien bis zu den Texten." Vor allem sie waren ihm in der Nachbetrachtung zu VIVA LOS TIOZ negativ aufgestoßen. "Die waren keine Glanzleistung. das hatte sicher auch damit zu tun, dass manche Lyrics erst in letzter Sekunde vollendet wurden." Diesem Stress wollte man sich unter allen Umständen entziehen. "Der Zeitfactor hat eine wesentliche Rolle gespielt." Weidner stellte schon vor Beginn der Produktion den Großteil der Texte fertig, lieferte Sänger Kevin Russell seine Interpretation, so dass der genügend Zeit hatte, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. demensprechend vorbereitet konnte Russell selbstbewusst vors Micro treten, und neben seinen MGM-Brüllern auch Tonlagen erklimmen, die sehr klar und beinahe hell wirken. "Das ist ein Kompliment an die ganze Band", dankt Weidner. "Umso besser die Kompositionen sind, umso mehr kann sich Kevin entfalten." das Songwriting teilte sich weidner wie gewohnt mit Gitarrist Matthias 'Gonzo' Röhr. Im Vorfeld unterhielten sich die beiden, in welche Richtung man künftig unter der Onkelz-Flagge in See stechen wollte. Die Richtung hieß: Erdiger Rock - allerdings mit einigen Feinheiten! "Wir haben uns viel mit Harmonielehre und Noten ausernandergesetzt. Das hat uns sicher weitergebracht. Es werden aber auch straightere Sachen auf dieser Platte sein, darunter ein Stück in Anerkennung unserer Fans", das, so Röhr, das 'Mexico-Syndrom' aufweisen wrd. Die Onkelz sind also weit davon entfernt, ihren Fans mit berühmt-brüchtigter Musiker-Mucken Kopfschmerzen zu bereitn-ohne jedoch die Weiterentwicklung aus dem 'Auge des Gonz' zu verlieren. "Vielleicht ist das der Unterschied: Die früheren Songs waren griffiger-dafür werden wir mit dieser Scheibe längere Zeit Spaß haben." Ab März darf kräftig gelacht werden.

Vier von 13 Tracks  (zum Teil noch Arbeitstitel)

'Dunkler Ort': Die Single wird von Samples eröffnet, geht dann in einer sehr rockig angelegten Rhythmus über und mündet in einen mehrstimmigen Chours. Die nachdenklichen Lyrics und die Atmosphäre passen sich dem Titel an.

'Schutzzeit der Scheisse': Ein balladenhafter Anfang, in dem Kevins Stimme ungewohnt klar und hell wirkt, steigert sich im weiteren Verlauf zum Rocker Marke 'Wenn du wirklich willst'.

'Knast': Anfangs sehr schleppender, schwerer Beat mit akustischen Gitarren, der im Chours von psychedelischem Backroundgesang abgewechaselt wird und eine melancholische-geheimnissvolle Stimmung verbreitet.

'Onkelz 2000': Sehr straighter Rhythmus mit elektronischer Untermalung. Obwohl inhaltlich 'onkelztypisch', weit davon entfernt, übermütig zu wirken. Viele Facetten bezüglich Arrangments und Stimmungswechsel.

Die Single/Das Video

Wir wussten ja schon immer, dass die Jungs den Backstreet Boys Konkurrenz machen können : Zur Veröffentlichung der Single 'Dunkler Ort' (Ende Januar) ist erstmalig ein Onkelz-V ideo geplant, "das ausdrücklich nicht als Verkaufsspot dient", wie Röhr unterstreicht. Zum Beweis wird das Teil mit auf die Single gepresst. Ein "Schmankerl für die Fans", wie Russell betont, und daher nicht darauf angewiesen, ob die Sender ("Viva kriegt das ohnehin nicht!") das Teil wirklich spielen. "Wenn es ihnen nicht passt, sagen wir einfach: Fuck You", gibt Weidner seine neuen Englischkenntnisse zum Besten. "Wir haben noch nie versucht, einen Song zu visualisieren. Jetzt haben wir genügend Erfolg und Geld, um ein gutes Video abzuliefern. Halbe Sachen wird es von uns nicht mehr geben! Allerdings gibt  es auch Grenzen, wie wir uns im Video Darstellen." Oooh-dabei hatte ich mich schon so auf die Onkelz im MM-Look(ihr wisst schon: Möpse, Strapse, Kajal)gefreut...

Die CD-Rom

Als Ergänzung zu der 1997 erschienenden Biographie 'Danke für nichts' wird im kommenden Herbst eine CD-Rom erscheinen. Dankeswertweiseverzichtet die Band darauf, einfach denselben Text nochmal zu veröffentlichen und wird stattdessen bislang unveröffentlichte Fotos aus der Privatschatulle zaubern und diverse Videosequenzen aufzubieten, die die Band bei der Arbeit im Studio zeigt.

Der Konzertfilm

Ihr wolltet schon immer mal wissen, ob Kevin Russel lange Unterhosen trägt? Kein Problem-auf der Onkelz-Tour im Mai wird ein Kamerateam mitreisen, das die Band beim "Essen, Schlafen., Pinkeln" verewigt. Ähnliches Konzept also wie bei 'A Year And A Half in The Life Of Metallica' - allerdings dann wohl eher mit dem Titel: 'Drei Wochen und fünf Tage...' Rechtzeitig zur Weihnachtszeit 2000 soll das Teil vom Nikolaus geliefert werden.

Weidner Solo

Neben seiner Produzententätigkeit für eine amerikanische Band namens SUPRA SOD, "musikalisch eine härtere Version von Pearl Jam, sehr erwachsene Musik", gab es in letzter Zeit vermehrt Gerüchte, Stephan Weidner plane, ein Soloalbum zu veröffentlichen. "Ich habe mit dem Gedanken mal gespielt-allerdings brauche ich mich mit Kevins Stimme nicht zu messen, besser singen kann ich nicht. Deshalb würde es anders als die Onkelz klingen. Immer noch rockig, aber experimenteller. Ich kann mich zur Zeit allerdings bei den Onkelz wieder ganz austoben. Diese Band hat immer absolute Priorität!"

Wer glaubte/hoffte, dass die Onkelz nach ihren nummer Eins-Album VIVA LOS TIOZ genüsslich auf die Rente vorbereiten, sieht sich überrascht/enttäuscht. Nebenbei wurde auch die Homepage (www.onkelz.de) neu in Szene gesetzt. Zum zwanzigjährigen Bandjubiläum gibt's also kräftig was auf Augen und Ohren! Sie ham' noch lange nicht genug...