Kinder
der Straße (Metal Hammer, April 2000)
Bericht von Matthias Weckmann / Abgetippt von Sebastian Kuboth

Kinder der Strasse
Werden die BÖHSEN ONKELZ nach dem extrem erfolgreichen
letzten Album VIVA LOS TIOZ in den unantastbaren Elfenbeinturm einziehen und dem
freudvollen Leben aller Rockstars frönen? Ein Besuch in der neuen Wahlheimat
Dublin sorgte für Aufschluss: Die Wurzeln sind erkennbarer denn je - Unkraut
vergeht nicht!
Am Flughafen von Dublin herrschen
Drei-Wetter-Taft-Bedingungen: Es stürmt von vorne, es zieht von unten und es
schüttet von oben. "Wir sind halt nicht die sonnigen Gemüter, die es nach
Mallorca zieht." Lacht Gitarrist Matthias `Gonzo´ Röhr. Nein, von den
klimatischen Bedingungen der balearischen Insel ist Dublin weit entfernt. Das
ist sie also - die neue Heimat der Böhsen Onkelz: Irische See statt Frankfurter
Main, Guiness statt Äppelwoi und Proletariat statt Hochfinanz. "Hier ist noch
Leben drin." Konstantiert Frontmann Kevin Russell. "Irgendwie passt diese Stadt
zu uns." Seit Ende 1998 ist die irische Hauptstadt fester Wohnsitz des
Quartetts. In Frankfurt residieren nur noch die Haustiere. "Doch selbst die sind
bald Iren." Der Grund für den Ortswechsel seien nicht finanzielle Überlegungen
(sprich "Irish Moos")gewesen, sondern "dass wir alle mal Bock auf was Neues
hatten." wie Gonzo bemerkt. "Frankfurt wurde uns zu klein. Es ist eine Stadt der
Banken geworden und verlor so seinen Inspirationswert für diese Band. Wir lebten
dort so viele Jahre: Da kennst du jede Mauer, jede Ecke, an die dein Hund
gepinkelt hat. Dublin hat uns die Bodenständigkeit wiedergegeben! Ich hatte
keine Lust, in die Frankfurter Ghettos fahren zu müssen, um dieses Gefühl
künstlich wiederzubeleben. Hier stehst du auf dem Boden - und das hat sich auf
die neue Platte ausgewirkt." Wie wahr: EIN BÖSES MÄRCHEN AUS TAUSEND FINSTEREN
NÄCHTEN schlägt musikalisch ein neues Kapitel der Onkelz auf und wirkt doch wie
ein Schritt zurück zu den Wurzeln dieser Band. Zwar sind die zwölf Songs
(aufgenommen im Dubliner The Factory-Studio) songwriterisch filligraner
ausgefallen, doch der Sound ist kantig, rauh und verschleudert den Dreck der
Garage. Dazu passen die gewählten Themen, die neben der gewohnten
Selbstdarstellung verzweifelte Einzelschicksale darlegen. Stricher, Alks,
Drogenabhängige und Knackis - die Böhsen Onkelz sind selber Kinder der Straße
und genießen daher eine Glaubwürdigkeit, die in der deutschen Musiklandschaft
einzigartig ist. "Jede Flasche, jede Schlägerei, jede Spritze über die sie
singen, haben sie erlebt" wird dann eindrucksvoll geraunt. Die Fanschar dankt es
mit einer Zuneigung, die einerseits fast schon die Schmerzgrenze zur
Ersatzreligion überschreitet und die Onkelz andererseits zu einer der derzeit
erfolgreichsten deutschen Bands gemacht hat. Ihr letztes Album VIVA LOS TIOZ
(1998) eroberte die Spitzenposition der deutschen Charts. Auch die Vorzeichen
zum neuen Werk stehen äußerst günstig. Der Song ´Dunkler Ort´ rangierte Ende
Februar auf Platz 2 der Single-Charts - trotz Boykotts seitens VIVA und WOM. Die
Böhsen Onkelz haben als eine der wenigen Bands den Spagat zwischen Kommerz und
Fanidendifikation geschafft: Sie ziehen - relativ - unbeeinträchtigt von
geltenden Businessgesetzen ihre Kreise und karikieren durch ihren immensen
Erfolg inzwischen den Sonderstatus, den ihre Gegner ihnen aufgrund der
rechtslastigen Anfangstage anhängen wollten: Wer die Böhsen Onkelz ausgrenzt,
grenzt in Wahrheit sich selbst aus.
Neue Heimat - irre Onkelz in Irland
Auf einen Wecker kann man getrost
verzichten: Als die betagte Hotelbesitzerin vorsichtig durch die Gardine (die
mit der Goldkante) lugt, was für Gestalten vor ihrer Einfahrt auf und ab gehen,
ist ziemlich klar, dass sich die Böhsen Onkelz zum vereinbarten Treffpunkt
eingefunden haben. Dabei müsste sie doch inzwischen mitbekommen haben, dass es
sich bei den furchteinflößenden Kerlen um unmittelbare Nachbarn handelt. Aber:
In diesem Viertel ist man den Anblick von Leuten wie U2-Sänger Bono, Def
Leppard-Frontröhre Joe Elliot, Van Morrison oder Rennfahrer Eddie Irvine gewohnt
- und man muss es sagen: In diesem High Society-Bild fallen die Onkelz optisch
definitiv aus dem Rahmen. Auf der anderen Seite ist ihre Leidenschaft neue
Länder und Kulturen kennenzulernen, längst bekannt. Ihre Miles&More-Karten
dürften proppevoll sein. Nach Amerika, Kenia und Kanada fiel ihre Wahl nun eben
auf Dublin.
Der Unterschied ist nur, dass man
diesmal keinen Urlaub macht, sondern gleich umzog. Während sich Stephan Weidner
nach dem Stressvollen Ende der Albumproduktion für ein paar Tage in die
österreichische Berge verzog, steuern Frontmann Kevin Russell, Drummer Pe
Schorowsky und Gitarrist Matthias ´Gonzo´ Röhr nach überstandener Begrüßung
frohgelaunt den nächstgelegenen Pub an. Die Jungs wissen, wie man Kultur
vermittelt. "Unsere Häuser liegen ziemlich nah beieinander." Erzählt Gonzo.
"Irgendwie klebt man halt doch zusammen." EIN Onkel definiert sich eben durch
DIE Onkelz. Eigentlich erstaunlich, dass sich das Quartett nicht zu einer Villa
Kunterbund-WG zusammenfand. Bei solch starker Verbundenheit zwischen den
Neuankömmlingen wundert es wenig, dass man bislang eher ´neue Bekannte´ als
´neue Freunde´ in Dublin präsentieren kann. Die Onkelz kümmern sich lieber um
sich selber. "Die Anhänglichkeit der Iren nervt manchmal." Gonzo hat
beispielsweise den ganzen Nachmittag damit verbracht, sich durch sämtliche
Onkelz-Veröffentlichungen zu wälzen, um die Setliste für die kommende Tour
zusammenzustellen. "allerdings ohne meinen Sohn." wie er lachend bemerkt. "Vom
neuen Album hat er sich ausgerechnet das Wort ´Scheiße´ gemerkt. Ich hab ihm
dann gesagt, dass Kevin eigentlich ´ Meise ´ singt." ´ Schutzgeist der Meise ´,
oder wie? Die Vogelwarte wird´s ihm danken, pädagogisch hoch wertvoll... Die
Onkelz wurden in den letzten zwei Jahren kräftig Papaz. Bis auf Kevin, dessen
Sohn während der Tournee zur Welt kommen soll, haben schon alle Bandmitglieder
Nachwuchs. "Es ist natürlich super, dass die hier zweisprachig aufwachsen."
meint Kevin, der selber durch Oma und Opa in England verwurzelt ist. "Jetzt aber
mal zum wichtigen Teil!" Pe bestellt klassischerweise ein Guiness, Gonzo greift
zum Heineken (obwohl die Kollegen dazu fünf verschiedene Kotzstorys
präsentieren), während sich Kevin für ein Caffrey´s entscheidet, "weil das die
meisten Prozente hat." Ist ja auch enorm wichtig schließlich wird in irischen
Pubs schon um elf Uhr die Glocke zur letzten Runde geläutet.
"Besser ist das", meint Gonzo.
"Ansonsten würden die Iren die ganze Nacht durchsaufen und am nächsten Tag nicht
zur Arbeit erscheinen." Zumindest die einheimischen Taxifahrer scheinen ohnehin
von Natur aus besoffen zu sein. Die Farbe rot hat keinerlei Signalwirkung: "Die
machen hier, was sie wollen das passt ausgezeichnet zu meinem Naturell", urteilt
Gonzo. Die nicht vorhandenen Verkehrsregeln waren aber nicht der einzige Grund,
nach Dublin zu ziehen. Neben der direkten Fluglinie nach Frankfurt (das immer
noch als Hauptquartier in Sachen Management gilt) sagte den Onkelz neben den
klimatischen Vorzügen ("Im Süden Irlands kommt man sich vor wie in
Südfrankreich!") vor allem die Mentalität der Bevölkerung zu. "Viel offener,
geselliger als die Deutschen", beurteilt Kevin das Wesen der Iren. Kein Wunder
also, dass die Frankfurter bislang nicht einmal in eine stressige Situation
verwickelt waren. "Immerhin gelten die Iren ja als Dickköpfe und die
Kneipenschläger schlechthin. Das entspricht aber eher dem Klischee als der
Wirklichkeit." Entsprechend empfindet Pe die neue Umgebung "schon fast zu nett.
Neid oder Missgunst sind den Iren fremd. Und Flüche hörst du eigentlich auch
nie." - Diesen Sektor übernehmen die Onkelz im Verlauf des Abends zur vollen
Zufriedenheit. Anstatt wie neuerdings auf harmlose Golfbälle einzudreschen (die
Abschläge von Kevin sollen bereits Stadtgrenzen überschritten haben), erregen
bestimmte Themen immer noch mächtig ihr Gemüt. Beim Sender Viva ist das ebenso
wenig überraschend ("Die kotzen doch, dass wir auch ohne sie so weit oben in den
Single-Charts stehen!") wie bei der Diskussion über die Toten Hosen. Zwar hält
man Frontmann Campino zugute, dass er sich in letzter Zeit mit provozierenden
Statements zurückgehalten hat, außerdem sei das Thema ohnehin durch, und
eigentlich gehe einem diese Band und ihr Schaffen inzwischen am Arsch vorbei,
"aber normalisiert hat sich da nicht viel." giftet Gonzo. "Millionär-Punks -
pah, das gab´s früher nicht." Der Unterschied sei eben, dass die Onkelz sich
nicht wie Kollegen dazu hergeben, in einer ´ Wetten dass...´-Sendung
aufzutreten. "Unsere Band gehört nicht zur Unterhaltungsbranche." wie Stephan es
einst beschrieb. "Wir müssen nicht zu Harald Schmidt oder sonst einer Talkshow,
da haben die Onkelz nichts verloren. Da befinden wir uns auf einem ganz schmalen
Grad bezüglich der Glaubwürdigkeit. Was andere lustig finden, hört schnell auf,
wenn du selbst betroffen bist. Wenn Harald Schmidt - bei allem Respekt vor
seinem Können - in meiner Abwesenheit beispielsweise behaupten würde, ich hätte
einen kleinen Schwanz, würde er eins auf die Nuss bekommen." Fernsehen ist seit
dem Umzug allgemein ,out‘.
Da im Viertel keine Satellitenschüsseln
angebracht werden dürfen, begnügt man sich mit acht englischsprachigen
Programmen, einer allabendlichen Aufzeichnung des ´Heute Journals´ und eher
"häuslichem Entertainment". Während Kevin gern zu Klassikklängen
Geschichtsbücher über das alte Rom studiert ("Onkelz und Mozart - das
ist´s!")und Gonzo im Radio Dean Martin lauscht ("Er gehört zu meinen
Lieblingssängern.") widmet sich Pe "seinem besten Freund". Nein, nicht auf der
Toilette, sonder vorm Monitor. Wie Stephan gehört auch der Schlagzeuger zu den
Informations-Junkies der Band. "Ich kann ohne Computer gar nicht mehr leben.
Kevin gehört mit seiner Verweigerungshaltung echt zum Mittelalter." witzt Pe.
Die Stimmung im Lager der "bekanntesten Underground-Bands Deutschlands" ist mehr
als prächtig.
Die Drei schmauchen genüßlich ihre
Zigarillo, fahren am Wochenende ans Meer, philosophieren über neue Soundtracks
("Das wär´mal eine interessante Aufgabe für uns.") oder erwägen künftige
Domizile ("In Australien auf einem Bauernhof leben - ein Traum!") - kurz: Der
Umzug hat alle Erwartungen übertroffen. Die Umstellung sei nicht allzu groß
gewesen. O.K, Eishockeyliga ist nicht mehr, statt Billard spielt man Snooker,
und anstelle von Fußball- besucht man Rugby-Stadien, "aber ansonsten hat sich
nicht viel für uns verändert. Es kommt einem fast vor, als ob man in einen
schöneren Stadtteil Frankfurts gezogen wäre. Diese Entfernungen sind doch im
Zeitalter von Internet und Flugzeug gar nichts mehr. Trotzdem war dieser Wechsel
absolut notwendig. Dublin ist im Gegensatz zu Frankfurt eine echte Weltstadt.
Ich habe keinen Bock meinen Arsch auf ewig an einem Ort zu plazieren. Es gibt so
viele interessante Stellen auf diesem Planeten. Dies war der erste, aber sicher
nicht der letzte Schritt. Wir werden auch die nächste Platte an einem anderen
Ort aufnehmen, weil das dem Songwriting gut bekommt. Nach Frankfurt ziehe ich
nie wieder." betont Gonzo. "Die Stadt kommt in meiner Beliebtheitsskala direkt
nach meinem Beruf!" Die markigen Sprüche haben die Onkelz ebenso wenig eingebüßt
wie ihr Selbstvertrauen und -verständnis. In Dublin können die einzelnen
Bandmitglieder endlich wieder feststellen, was ihre wahren Persönlichkeiten
ausmacht, weil die Manipulation seitens Fans und Gegnerschaft ausbleibt. "Liebe
und Hass fehlen hier völlig. Wir interessieren keine Sau. Du kannst mit einem
Onkelz-Shirt rumlaufen, und keiner macht dich an." betont Kevin. Die zum Teil
übergroße Fanverehrung mache ihnen zwar keine Sorgen, führte aber in Deutschland
schon zu Jagdszenen im Supermarkt oder neugierigen Gesichtern vor dem heimischen
Küchenfenster. Darauf können die Onkelz gut verzichten, "schließlich entspricht
dieser Götzenkult in keinster Weise unserem Naturell", betont Kevin. "Natürlich
sind wir nicht Michael Jackson - trotzdem kann das ganz schön lästig werden."
Sie wissen sehr genau, wo sie herkommen und was sie erreicht haben - wenn auch
die Interpretation ihres Werdegangs innerhalb der Band leicht variiert. Wo Gonzo
noch "Parallelen zu dem gallischen Dorf aus ‚ Asterix & Obelix ‘ sieht, dass
sich der Obrigkeit widersetzt", schwingt sein Sänger - wohlgemerkt nach dem
vierten Glass Caffrey`s - gleich mit der theologischen Keule: "Dass wir uns
damals getroffen haben, ist ein echtes Wunder, ein Riesending! Die Story der
Onkelz ist wie die Jesusgeschichte!
Eines der größten Bandwunder aller
Zeiten, wie bei den Beatles!" Passend dazu verlassen wir auch vier Bier und fünf
Rülpser später in einer relaxten ‚ Love, peace & Harmony‘-Atmosphäre den Pub -
auch wenn einige Passanten es vorziehen, die Straßenseite zu wechseln. "Schau
dir doch mal den Mond an - ist der nicht wahnsinnig schön?", sinniert Kevin.
Welcher Mond? Ich seh‘ nur noch Sterne.....
DAS INTERVIEW
Bassist und Bandkopf STEPHAN WEIDNER über die Schwierigkeit,
das Erscheinungsbild der BÖHSEN ONKELZ aufzufrischen, ohne das Gesicht zu
verlieren.
EIN BÖSES MÄRCHEN...ist um einiges rotziger ausgefallen, als
man dies nach VIVA LOS TIOZ erwarten durfte.

Richtig, da existiert ein
Riesenunterschied. Obwohl die Songs eine vertracktere, tiefgründigere Struktur
besitzen, sind sie sehr viel erdiger und direkter. Früher haben wir im Studio
sehr viel mehr an den Knöpfchen gedreht. Die war diesmal nicht nötig: Wir waren
mit dem Material rundum zufrieden und brauchten keine Effekte draufzuhauen.
Vor allem beim Rhythmus scheint sich
einiges getan zu haben..
Das war eins unser Mankos - sofern man
da von Manko sprechen kann, weil wir ja im allgemeinen eher für geradlinige
Sachen bekannt sind. Aber es stimmt: Am Schlagzeug gaben wir uns mehr Mühe -
sonst wird es Pe irgendwann auch mal langweilig.
Als Produzent der Band Suprasod (Support
der Onkelz-Tour im Mai-Anm. d.A.) verleihst du ihren Songs einen sehr vollen
Klang, während euerer neues Material eher rauh und ungehobelt klingt - braucht
ein Onkelz - Song das gewisse Straßen-Feeling ?
Unsere Produktion ist sehr präsent:
Kevins Stimme steht dir im Gesicht, die Gitarren sind ebenso weit vorne. Ich bin
froh, dass man die Straße raushört - die soll immer vorhanden sein. Wir wollen
kein glattgebügeltes Album. Bei EIN BÖSES MÄRCHEN... weißt du, dass da keine
Elektronik-Freaks sitzen, sondern Jungs, die Gitarre, Bass und Schlagzeug
spielen.
Ihr habt euch erstmals mit Harmonielehre
auseinandergesetzt. Spricht das dafür, dass ihr euh nach VIVA LOS TIOZ in einer
kreativen Sackgasse befandet?
Im Nachhinein könnte man das so sagen.
Allerdings halte ich VIVA LOS TIOZ für alles andere als ein schlechtes Album.
Irgendwann ist der Punkt da, an dewm man neue Herausforderungen sucht. VIVA LOS
TIOZ enthielt viel Elektronik, jetzt haben wir das Pferd mal anders rum
aufgesattelt und auf die Kompositionen Wert gelegt. Was nützt das schönste
Lametta am Christbaum, wenn der Baum scheiße aussieht? Wir analysierten die
Kompositionen anderer Bands hinsichtlich ihrer Rhythmik: Was funktioniert, was
nicht. Das reichte von Pink Floyd über die Beatles bis hin zu Machine Head.
In Rezensionen fällt häufig der Begriff
„typisch Onkelz" - fühlst du dich diesbezüglich als Songwriter unterschätzt ?
Es ist zunächst mal positiv, seinen
eigenen Stil zu besitzen. Leute, die diesen Begriff negativ bewerten, sind sich
nicht im Klaren, was wir für Musik machen. Die letzten fünf, sechs Alben haben
deutlich gezeigt, dass wir auch mal was anderes machen können und wollen als
diese „Hau - Ruck - Nummern". Du wirst reduziert auf drei Griffe, Grölgesang und
Pathos-das wird weder den Texten noch der Musik gerecht.
Ist es schwer, die Balance zu halten
zwischen dem, was diese Band unverwechselbar macht, und dem, was dich kreativ
herausfordert?
Es ist schwierig das zu schaffen, ohne
auf einen Trend aufzuspringen. Doch genau das ist uns bei der neuen Platte
gelungen: Sie steht ebenso für bekannte Onkelz-Inhalte wie für neue Elemente,
die aber niemanden vor den Kopf stoßen.
Was hat es mit dem Titel auf sich?
Ganz ehrlich: Uns ist nichts besseres
eingefallen. (lacht) Aber er hat schon seinen Sinn: Es werden zwölf Geschichten
erzählt, die teilweise von den Onkelz handeln, aber eben auch von Straßenkindern
oder Strichern, für die das Leben ein böses Märchen ist. Das war es für uns ja
auch einmal...
Sind die Texte deshalb individueller
gehalten?
Diesmal hat mich nicht das Weltübel,
sondern das Übel vor meiner Haustür beschäftigt. Diese Bodenständigkeit passt
auch zum Sound. Ich wollte neue Worte verwenden, die nicht schon auf zig Onkelz
Alben zuvor durchgekaut wurden. Zum Glück waren meine Texte sehr früh fertig -
dadurch konnten wir Songs mit den Emotionen schreiben, die ich ausdrücken
wollte. Wenn das nicht funktionierte, haben wir eher den Song umgeschmissen als
die Lyrics. Den Track „Zuviel" gab es zum Beispiel in 26 musikalischen
Fassungen....
Also haben die Texte an Gewicht
gewonnen?

Auf jeden Fall. Es soll ja Leute geben,
die auf Knopfdruck innerhalb von drei Wochen alle Texte fertigstellen. Das hat
bei mir noch nie funktioniert. Mir fällt das schwer, deswegen habe ich überall
ein Diktiergerät oder einen Zettel rumliegen, damit mir keine Idee verloren
geht.
Trotz der tristen Lebenssituationen, die
du beschreibst, schwingt doch eine lebensbejahende Grundstimmung mit. Liebst du
das Leben?
Absolut - und das Leben liebt anscheinen
auch mich. Dieser Optimismus ist die Quintessenz aller Onkelz Texte. Mir sind
Leute zuwider, die ständig über andere meckern, anstatt sich selbst die Frage zu
stellen. Ich glaube an das Ursache - Wirkung - Prinzip: Wenn man sich Ziele
setzt, die man erreichen kann, wendet sich - wenn auch in kleinen Schritten -
alles zum Guten.
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