Die Entdeckung Amerikas? (Metal Hammer, Mai 2000)

Bericht von Matthias Weckmann / Abgetippt von Sebastian Kuboth

Die Entdeckung Amerikas?

Nur noch wenige Tage - dann ist es soweit: Die BÖHSEN ONKELZ starten ihre Mega- Tour durch die größten Hallen der Republik. Doch sie ham noch lange nicht genug: In d en Köpfen von STEPHAN WEIDNER (b), KEVIN RUSSELL (v), MATTHIAS „GONZO" RÖHR (g) und PE SCHOROWSKY (d) ist noch Platz für visionäre Zukunftsaussichten. Das BÖSE MÄRCHEN findet einfach kein Ende!

In zwei Wochen beginnt eure Tournee - spürt ihr nach all den Jahren im Vorderfeld noch ein Kribbeln?

Kevin: „Absolut! Du weißt ja nie, was passiert. Eine Tournee ist wie eine Olympiade: unglaublich schön, aber auch unglaublich anstrengend. Die Angst vor einer Erkältung oder Krankheit schwingt immer mit. Falls sich einer von den Jungs mal den Arm brechen sollte, dann war’s das! Bislang hatten wir diesbezüglich unverschämtes Glück... Wenn jede Note eines Gigs wie auf Platte klingen sollte - das wär‘ echt hart. Aber bei uns kommt’s auf was anderes an: Wir sind einfach ne richtig geile Liveband!"

Stephan: „Man versucht sich bezüglich der Shows, des Lichts und der Musik immer selbst zu überbieten - das wird mit jeder Tour natürlich schwieriger."

Was sprach - außer, dass Stephan ihr Produzent war und das Debüt auf eurem Label erscheint - dafür, die New Yorker Suprasod in eurem Vorprogramm spielen zu lassen?

Gonzo: „Sie passen musikalisch zu uns. Merauder empfanden unsere Fans beispielsweise als sehr monoton. Natürlich spielen Suprasod eher Grunge, aber ihre Songs sind ähnlich variabel wie unsere."

Pe:"Auch die Onkelz haben schon vor EIN BÖSES MÄRCHEN immer Sachen im Songwriting probiert, die die Leute erstmal verwundert haben."

Erlebt ihr gerade den Höhepunkt eurer Karriere?

Kevin: „Auf keinen Fall! Wir haben in Deutschland noch nicht alles erreicht, was machbar ist. Es gibt Leute, die diese Band erst durch EIN BÖSES MÄRCHEN kennenlernen werden. Selbst wenn du zehn Millionen erreichst, ist das bei einer Bevölkerung von 80 Millionen nur ein kleiner Teil. Fünf Millionen Fans sind für uns absolut drin!"

Schon mal daran gedacht, den Sprung nach Amerika zu wagen ?

Kevin: „Es wäre schon mal interessant, wieder in einem Club aufzutreten, dessen Besucher nichts von uns wissen, und zu beobachten, wie die dann auf die Songs reagieren. Aber ich bin mir sicher: Wir kriegen alle rum -egal, ob in Amerika, Nigeria oder Japan!"

Gonzo: „Japan wäre dann aber die letzte Tour vor der Rente... Es gab schon einige interessante Angebote aus den Staaten: Wenn, dann machen wir das nur mit deutschen Texten. Seine Songs in Englisch umzuwursteln, wie es die Hosen gemacht haben, um den Markt zu knacken - das ist doch entlarvend!"

Habt ihr eigentlich eine Platte dieser Band zu Hause ?

Pe: „Ich wollte mir interessehalber die neu CD UNSTERBLICH besorgen. Den Titelsong fand ich ein wenig besser als das, was sie früher gemacht haben."

Gonzo: „Du warst schon immer zu gutmütig (lacht). Den „Bayern" - Track habe ich letztens im Radio gehört: Das ist die Art von Musik, die mich überhaupt nicht interessiert. Vergleiche zwischen denen und uns haben mir noch nie gefallen. Allerdings muss man sagen, dass sich die Hosen nicht so beschissen verhalten haben wie Die Ärzte."

Kevin: „Eine Anti-Bayern-Song als Fan eines Drittligisten (Fortuna Düsseldorf - Anm.d.A.): Geht es noch kindischer ?!"

Ihr habt inzwischen alle Familie - hat sich der Stellenwert der Band dadurch geändert?

Stephan: „Ein Kind bedeutet eine immense Verantwortung! Man kann Band und das Private nicht miteinander vergleichen. Wir haben die Onkelz gebraucht, jetzt brauchen die Familien uns."

Pe: „ Deshalb sage ich immer, dass wir uns nicht zuviel aufhalsen sollten. 

Was steht bei eurer Erziehung im Vordergrund: Das Individuum oder die Gesellschaft ?

Stephan: „ Eindeutig das Individuum! Wenn ich mir gestatte, individuell zu sein, sollte ich das allerdings auch meinen Mitmenschen erlauben. Ich meine damit nicht die REBELLION; DIE NUR AUS Selbstzweck dagegen ist. Mit dieser „Diese Welt kann mich am Arsch lecken" - Mentalität kommst du nicht weit. Individualismus folgt aus dem Respekt - und den kannst du dir erarbeiten. Egal, ob als Bäcker, Metzger oder Kraftfahrer."

Gonzo: „Stephan ist doch das Paradebeispiel dafür, dass unser Schulsystem versagt: Der ist von sämtlichen Schulen geflogen - und heute macht er denen allen was vor ! Im Grunde sind die Onkelz Self Made Rocker! Die ganze Rock’n’Roll Geschichte ist doch voll von solchen Exemplaren - vier komische Taugenichtse, die mehr im Übungsraum saßen als in der Klasse."

Im Song „Onkelz 2000" nennt ihr euch „radikale Humanisten" und „Idealisten" - gibt es eine spezielle Philosophie, für die ihr euch besonders begeistert?

Stephan: „Ich habe mich stark mit den verschiedenen Weltreligionen auseinandergesetzt, auch die Länder selber bereist, die interessante Philosophien vertreten, und meditiere oft. Aus all diesen Eindrücken entstand dann ein Potpourrie, das mir half, mein Leben zu meistern. Viele Leute werfen mir vor, dass ich in meinen Texten immer nur anprangere und keine Lösungen präsentiere - wie sollte ich auch ? Meine Ansichten sind ganz speziell auf meinen Charakter und Erfahrungswerte zugeschnitten. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Ich kann nur wachrütteln...

Wer hat dich denn wachgerüttelt ?

Stephan: „Bei mir war das eher ein schleichender Prozess. Es gab verschiedene Erlebnisse für verschiedene Erkenntnisse und Dinge, zu denen ich von Dritten geführt wurde,"

Bist du überhaupt ein Typ, der sich führen lässt?

Stephan: „Eher nicht. Es ist schwierig, mir was zu erzählen. Das müssen schon Leute sein, vor denen ich aufgrund ihrer Taten oder ihres Seins großen Respekt habe. Dieses Schulmeisterische verabscheue ich - ist wohl ein Kindheitstrauma! (lacht)"

Der Text von „Gesichter des Todes" kritisiert den steigenden Voyeurismus der Gesellschaft. Seht ihr da Grenzen erreicht, oder gibt es noch Steigerungen?

Gonzo: „Eher letzteres... Für das Intro zu diesem Song wollten wir ursprünglich einige Live-Sequenzen aus deutschen Talkshows einbauen. Also setzte ich mich einen Nachmittag hin und sah mir das an - aber das hältst du nicht aus! Diese Sendungen sprechen die primitiven Instinkte an. Das schürt nur Missgunst. Neid und Aggression."

Stephan: „Irgendwann kommt der Tag, an dem wir Todesszenen live auf dem Schirm sehen. Das Publikum wird immer abgestumpfter, weil sich der Realitätshorror kaum mehr von Filmeffekten unterscheidet. Diese Zurschaustellung von Trieben macht deutlich, wie krank diese Gesellschaft ist."

Wie weit darf den Satire gehen?

Stephan: „Kommt drauf an - im Falle von Moses P. hatte das sicher nichts mehr mit Satire zu tun. Stephan Raab ist einfach nur blöd, unproduktiv, eine dumpfe Kacke. Letztlich sollte man nicht so wie Moses P. reagieren und draufloshauen, ganz klar... Aber ich sag dir eins: Wenn Raab das mit uns gemacht hätte, hätte er von mir auch eine gekriegt."

Muss man als der Person der Öffentlichkeit mit so etwas nicht umgehn können?

Stephan: „Dann hätten wir auch die Hosen-Geschichte kommentarlos hinnehmen müssen. Aber wenn man sich ans Bein gepinkelt fühlt, ist das nur zu einem gewissen Grad erträglich. Zur Satire gehört auch ein gewisser Grad an Respekt. Aber dieser Begriff hat heutzutage keinen grossen Wert mehr. Es geht nur noch darum, den Gegenüber fertig zu machen. Wer sich wie Raab so weit aus dem Fenster lehnt, muss damit rechnen, dass er mal eine fängt."

Eure Tournee wird euch auch nach Österreich führen. Wie beurteilt ihr die dortige politische Situation?

Stephan: „Es ist schon bedenklich, wie viele Leute für Haider gestimmt haben. Vielleicht sind die Österreicher, die ohnehin ziemlich konservativ sind, künftig gewarnt und korrigieren bei der nächsten Gelegenheit ihre Entscheidung."

Kevin: „Es stimmt: Jörg Haider ist ein Rattenfänger! Aber diese Panikaktionen halte ich für total überzogen - dadurch wird Haider zu Märtyrer gemacht. Der kann keinen Furz mehr lassen, ohne in den Medien aufzutauchen!"